Arktis Radiation - NZZ - Sicherheit in der Sackgasse

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10.10.2010
Um Atomschmuggel zu stoppen, haben die USA den Markt für Helium-3 leergekauft. Jetzt fehlt das Edelgas auch inder Forschung. Eine Zürcher Erfindung verspricht Abhilfe.

Trotz Sanktionen und politischem Druck führt Iran sein Atomprogramm fort. «Das Projekt schreitet stetig voran», heisst es in einer am Dienstag publizierten Studie der Universität Tel Aviv. Damit steigt auch das Risiko, dass spaltbares Material in die Hände von Terroristen gelangt. Denn um den Schmuggel von spaltbarem Material zu verhindern, haben die amerikanischen Sicherheitsbehörden auf eine Technologie gesetzt, für die es auf der Erde keine ausreichenden Rohstoffe gibt. Weniger als zehn Jahre nach den Terroranschlägen vom September 2001 steht das amerikanische Departement für innere Sicherheit (Department of Homeland Security) somit vor einem Scherbenhaufen, der nach Ansicht von Fachleuten vorauszusehen war. Die Explosion einer schmutzigen Bombe auf dem Times Square in New York, in der Londoner U-Bahn oder einer anderen Metropole ist ein Schreckensszenario, das damit näherrückt.

An den Grenzübergängen, Flughäfen und in Seehäfen haben die USA rund 1300 Nachweisgeräte für spaltbares Material installiert. Diese sogenannten Radiation Portal Monitors (RPM) schlagen Alarm, sobald sie in einem Container eine ungewöhnlich starke Neutronenstrahlung entdecken. Weltweit sind weitere 1000 solcher Anlagen im Einsatz – häufig auf Verlangen der USA, die eine Kontrolle von Importen schon im Ursprungsland vorschreiben.

Für den Nachweis der Neutronenstrahlung benötigen heutige RPM grosse Mengen von Helium-3, einem extrem seltenen Isotop des Edelgases Helium, dessen Kern aus 2 Protonen und 1 Neutron besteht. In der Natur kommt fast ausschliesslich Helium-4 (2 Protonen, 2 Neutronen) vor, mit dem man zum Beispiel Luftballone aufpumpt. Trifft ein Neutron aus einem radioaktiven Material auf einen Helium-3-Kern, so verbinden sich beide zu Helium-4. Bei dieser Kernreaktion entstehen Lichtblitze, die von den RPM registriert werden und die somit ein Hinweis auf spaltbares Material sind.

Allein die 1300 inneramerikanischen RPM haben in den letzten Jahren 60 000 Liter Helium-3 verbraucht. Gleichzeitig steigt der Bedarf für Helium-3 in der Grundlagenforschung, wo man das Edelgas braucht, um neue Materialien mit Hilfe von Neutronenstrahlung zu charakterisieren. Bei der Suche nach Erdölvorkommen benötigt man Helium-3 zur Analyse von unterirdischen Gesteinsformationen, beim Strassenbau, um den Wassergehalt des Bodens zu bestimmen. In der Medizin ist das Isotop als Kontrastmittel bei der Diagnose von Lungenerkrankungen mit Hilfe der Magnetresonanztomografie erforderlich. Speziell für diese diagnostische Anwendung gibt es heute keinerlei Alternative zu Helium-3.

Ein Liter für 4000 Euro

Mittlerweile übersteigt der Bedarf an Helium-3 das Angebot um das Zehnfache. Die Vorräte sind auf ein Minimum gefallen. Das Department of Homeland Security hat inzwischen die Entwicklung von neuen RPM eingestellt, die schon 230 Millionen Dollar gekostet hat. Die neuen Maschinen hätten eine dreifach höhere Menge von Helium-3 verbraucht als die derzeitigen Geräte.

Auch in der Schweizer Forschung spürt man die Verknappung. «Wir mussten die Entwicklung eines neuen Neutronen-Detektors stoppen», sagt Kurt Clausen vom Paul-Scherrer-Institut in Villigen. Die Kosten für das Helium wären höher gewesen als das Gesamtbudget der geplanten Anlage. Von einem funktionierenden Markt kann mittlerweile ohnehin keine Rede mehr sein. Aus regulären Bezugsquellen ist nur in absoluten Ausnahmefällen noch Helium-3 zu bekommen – zum Beispiel für die medizinische Diagnostik. Die Empfänger müssen schriftlich erklären, dass sie das Edelgas nur für den deklarierten Zweck verwenden und es nicht weiterveräussern. Einige Profiteure versuchen aber dennoch ihr Glück: «Kürzlich wurde mir ein Liter Helium-3 für 4000 Euro angeboten», sagt ein Wissenschafter eines europäischen Forschungszentrums, der nicht mit Namen genannt werden möchte. Vor zwei Jahren habe er für diese Menge noch 110 Euro bezahlt. «Manch einer, der noch einen Liter Helium im Regal stehen hat, versucht jetzt, von der Krise zu profitieren», sagt der Physiker. Weltweit hätten die grossen Labors vereinbart, dass sie auf solche Offerten nicht eingehen würden.

Folge der Abrüstung

Indirekt leidet also auch die Forschung unter der seit 2001 erhöhten Terrorgefahr. Und noch eine andere weltpolitische Veränderung – dieses Mal eine positive – hat Folgen für die Arbeit in den Labors: die Abrüstung von Nuklearwaffen seit dem Ende des Kalten Kriegs. Sie ist dafür verantwortlich, dass sich das Angebot von Helium-3 heute nicht mehr steigern lässt. In der Natur kommt das Isotop nämlich fast nicht vor – die gesamte verfügbare Menge ist ein Abfallprodukt aus den Wasserstoffbomben der Sowjetunion und der USA. Diese Waffen enthalten das Wasserstoffisotop Tritium (im Kern 1 Proton, 2 Neutronen), das eine Halbwertszeit von 12,3 Jahren besitzt. Beim Zerfall entsteht nach weiteren Kernreaktionen Helium-3, das alle paar Jahre aus den Waffen extrahiert wird.

Seit 1989 produzieren die USA aber praktisch kein Tritium mehr, und aus Russland kommt seit 2008 kein Helium- 3 mehr auf den Weltmarkt. Und niemand glaubt daran, dass die USA die Produktion kernwaffenfähigen Tritiums wiederaufnehmen, nur um daraus Helium-3 zu gewinnen.

Als Alternative bleiben nur die kanadischen Schwerwasser-Reaktoren Candu (CANada Deuterium Uranium), bei deren Betrieb Tritium entsteht. Dieses wird den Reaktoren periodisch entzogen und zerfällt dann ebenfalls zu Helium-3. So liessen sich theoretisch allerdings nur einige tausend Liter Helium- 3 pro Jahr gewinnen.

Alle grossen Forschungseinrichtungen in den USA, Japan und Europa haben daher begonnen, heliumfreie Neutronendetektoren zu entwickeln. Im Mittelpunkt des Interesses stehen Detektoren, die bestimmte Lithiumoder Bor-Isotope enthalten.

Helfen würde der Wissenschaft auch, wenn wenigstens bei Grenzkontrollen auf Helium-3 verzichtet würde. Wie das gehen könnte, zeigt eine Entwicklung der Zürcher Firma Arktis Detectors, eines Spin-offs der ETH. «Unser System arbeitet mit dem natürlichen Helium-4», sagt Rico Chandra, der die Technik zusammen mit seiner Kollegin Giovanna Davatz und anderen Physikern entwickelt hat.

Im Labor und bei Tests im atomaren Zwischenlager Würenlingen und am Paul-Scherrer-Institut habe sich der Detektor bewährt, sagt Chandra. Tatsächlich scheint die Firma vor dem grossen Durchbruch zu stehen. Eine der weltweit führenden Rüstungsfirmen aus den USA kooperiert mit dem kleinen Schweizer Startup-Unternehmen und steht ihm bei, die Erfindung dem Department of Homeland Security (DHS) zu verkaufen. Zusammen mit der Partnerfirma hat sich Arktis Detectors an einer Ausschreibung des DHS beteiligt.

Ihr Konzept basiert auf dem direkten Nachweis schneller Neutronen, die in einem Helium-4-Gas gestreut werden und dabei Licht aussenden (vgl. Grafik). Die in natürlichen Umgebungen viel häufiger vorhandenen langsamen Neutronen kosmischen Ursprungs führen dagegen zu keiner Reaktion des Detektors. Somit erleidet das System weniger Störungen und bleibt dadurch auch für abgeschirmtes Kernmaterial empfindlich.

Weniger Fehlalarme

Viele ungefährliche Güter, wie zum Beispiel Katzenstreu, Düngemittel oder auch Bananen, sind so radioaktiv, dass sie in herkömmlichen Messportalen Alarmschwellen überschreiten. In grossen Häfen haben die Behörden daher mit Hunderten Fehlalarmen pro Tag zu kämpfen. Durch den gezielten Nachweis schneller Neutronen lässt sich dieses Problem eliminieren. «Unser System verursacht zehnmal weniger Fehlalarme als Helium-3-Detektoren », sagt Chandra. Zudem liege die Nachweiswahrscheinlichkeit für spaltbares Material doppelt so hoch wie bei den heute üblichen Detektoren.

Das DHS hat das Konzept der Zürcher Physiker positiv beurteilt, obwohl es signifikant von den bisherigen Nachweismethoden abweiche. «Wir wurden ermutigt, ein Gesuch einzureichen, um einen wissenschaftlichen Nachweis für unsere Methode in den USA zu erbringen», sagt Chandra. Dies hat das ETH-Spin-off inzwischen getan – und hofft nun auf einen positiven Bescheid.

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