«Bei der Besteuerung von Mitarbeiteraktien besteht Handlungsbedarf»

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Jost Dubacher

28.02.2020
Judith Bellaiche

Nächste Woche beginnt die Frühjahrssession der Eidgenössischen Räte. Mit dabei ist auch Neu-Nationalrätin und SWICO-Chefin Judith Bellaiche.

Wie ist Ihr Verhältnis zum Zürcher Finanzdirektor Ernst Stocker, Frau Bellaiche?
Gut.

Obwohl Sie ihn und seine Steuerbeamten als Kantonsrätin publikumswirksam in die Schranken gewiesen haben?
So funktioniert Politik. Es geht darum, Interessen durchzusetzen; zum Beispiel jene von jungen Wachstumsunternehmen. Die Steuerverwaltung des Kantons Zürichs vertrat von einem Tag auf den anderen die Meinung, dass Startup-Aktien zum Wert der jeweils letzten Finanzierungsrunde besteuert werden müssten. Bei einigen Gründern hat das zu einer Vermögensteuerrechnung weit über dem Jahreslohn geführt. Diese Praxis wollte ich rückgängig machen.

Was haben Sie getan?
Das Zürcher Steueramt behauptete, es würde geltendes Recht anwenden, die Richtlinien der Eidgenössischen Steuerverwaltung würden ihm keine andere Wahl lassen. Darauf schrieben wir unsere grünliberalen Kollegen in anderen kantonalen Parlamenten an: Sie sollten abklären, wie es ihre Steuerverwaltungen mit den Gründern und Business Angel halten. Das Resultat: Die Zürcher waren mit ihrer strengen Praxis allein auf weiter Flur. Das musste Herr Stocker schliesslich zur Kenntnis nehmen.

Unterdessen ist der Zürcher Steuerstreit beigelegt und Sie vertreten die Grünliberale Partei (GLP) im Nationalrat. Was hat sich geändert?
In Bern ist alles ein wenig grösser. Doch im Prinzip geht es auch jetzt darum, Allianzen zu schmieden und dafür zu sorgen, dass der Startup- und Innovationsstandort Schweiz politisch Gehör findet. Es muss attraktiv sein, in der Schweiz ein wissen- und technologiebasiertes Unternehmen zu gründen, zu führen und zu finanzieren. Die in- und ausländischen Investoren müssen wissen, dass sie in Zürich, Basel oder Lausanne genauso willkommen sind wie in Berlin, Oslo oder Lissabon. Sie müssen sehen, dass wir hier das Potenzial für globale Erfolgsgeschichten haben.

Sehen sie das im Moment nicht?
Das Verbot von Uber in Genf, um ein Beispiel zu nennen, war ein fatales Signal. Damit schaden wir der Plattformwirtschaft in der Schweiz enorm. Dabei ginge es doch nur darum, eine vernünftige Sozialversicherungsregelung für die Beschäftigten in der Gig Economy zu finden.

Sie haben die erste Session in Bern hinter sich. Wo setzen Sie Ihre Prioritäten?
In einem ersten Schritt geht es darum, Verbündete zu finden. Im Wahlkampf bin ich mit dem Jungliberalen Andri Silberschmidt unter dem Namen «#TeamStartup» aufgetreten. Wir wurden beide gewählt. Jetzt suchen wir erneut parteiübergreifend nach Gleichgesinnten. Wir wollen eine parlamentarische Gruppe Startup aufbauen.

Auch mit Vertretern der linken Parteien?
Durchaus. Auch in der Grünen und der Sozialdemokratischen Partei sitzen Unternehmer. Im Kanton Freiburg wurde zum Beispiel Gerhard Andrey von den Grünen neu in den Nationalrat gewählt. Er hat die Webagentur Liip mitgegründet, die unterdessen 180 Mitarbeiter beschäftigt.

Viele politische Vorstösse zugunsten der Startups scheitern daran, dass sich nur schwer definieren lässt, was ein Startup von normalen Unternehmen unterscheidet…
…dieses Argument kenne ich, halte es aber für eine blosse Ausrede. Ich bin von Haus aus Juristin und weiss, dass die Gesetzbücher voll sind mit Kriterien und Abgrenzungen. Das ist übrigens auch der Grund, weshalb es nach dem Inkrafttreten von neuen Regelungen immer eine Weile dauert, bis sich eine Auslegungspraxis etabliert.


Sie könnten mit einer gesetzlichen Definition des Begriffs Startup leben?
Ja, auch wenn ich nicht glaube, dass dies auf Gesetzesstufe geregelt werden müsste. Viel wichtiger ist, dass die einschlägigen Bestimmungen gelebt werden. Wir brauchen Behörden, die ihren Ermessenspielraum für und nicht gegen Innovation und Unternehmertum nutzen.

Haben die Exekutiven auf den Ebenen Bund, Kantone und Gemeinde wirklich einen nennenswerten Spielraum?
Aber sicher! Ich sass acht Jahre lang im Gemeinderat von Kilchberg ZH und war für das Ressort Hochbau/Liegenschaften zuständig. In dieser Funktion begleitete ich die Baubewilligung für das «Lindt Home of Chocolate», eine Kombination aus Innovationszentrum und Museum. Ein 100-Millionen-Projekt mitten in einem Wohngebiet! Es war schwierig, aber wir brachten das Projekt im Dialog mit der Bevölkerung durch. Im Mai wird eröffnet.

Wer sich im Startup-Ökosystem umhört, ist immer mit den zwei gleichen Klagen konfrontiert: Die Startups hätten Mühe, Fachkräfte zu rekrutieren und die Besteuerung von Risikokapital sei zu hoch. Was muss getan werden?
Handlungsbedarf sehe ich insbesondere bei der Besteuerung von Mitarbeiteraktien. Viele Startups wären ohne Beteiligungsprogramme auf dem Arbeitsmarkt für Hochqualifizierte chancenlos. Für die Steuerämter sind Mitarbeiteraktien oder Optionen auf deren Erwerb ein Lohnbestandteil und werden als Einkommen besteuert; ungeachtet der Tatsache, dass der Mitarbeiter einen Teil des unternehmerischen Risikos mitträgt. Aus meiner Sicht werden die Startups damit auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt.

Mitarbeiteraktien geben auch im Zusammenhang mit der Rekrutierung vonNicht-EU/EFTA-Ausländern zu reden. Für die Arbeitsämter gelten sie nicht als Lohnbestandteil.
Das ist eine Riesenungerechtigkeit! Diese Inkonsequenz bei der Handhabung von Mitarbeiteraktien bestraft die Startups ein zweites Mal. Nur wenige junge Unternehmen sind in der Lage, 120 000 Franken Jahreslohn ohne Mitarbeiteraktien oder -optionen auszuzahlen.

Was schlagen Sie vor, um die Rekrutierung von Fachkräften aus Drittstaaten zu erleichtern?
Die eleganteste Lösung wäre ein gesondertes Drittstatten-Kontingent für Startups. Das würde die Wachstumsfirmen nicht nur lohnseitig, sondern auch administrativ entlasten. Denn im aktuellen Regime befinden sich die Startups im Wettbewerb mit Grossfirmen. Wenn sie bei der Verteilung der Kontingente dabei sein wollen, müssen sie viel Geld in den Aufbau ihrer HR-Abteilungen investieren; Geld, das im Bereich Produktentwicklung und Marketing besser angelegt wäre.

Das zweite in der Szene heiss diskutierte Thema ist die Besteuerung von Risikokapital. Muss es für Investitionen in Startups eine Entlastung geben?
Darauf habe ich noch keine fixfertige Antwort. Im Kern geht es darum, Investitionen in Schweizer Startups attraktiv zu machen. Die Höhe der Steuern ist dabei nur eine unter vielen anderen Stellschrauben. Vielleicht ist den Investoren und Gründern besser gedient mit einem schnellen Abschluss des EU-Rahmenvertrags. Auf jeden Fall sollten wir vermeiden, dass in der Bevölkerung der Eindruck entsteht, die Beteiligung an Startups sei eine Form der Steueroptimierung.

Wie wichtig ist Ihre Position als Geschäftsführerin des IT-Branchenverbandes Swico für ihr politisches Engagement?
Sehr wichtig. Die Mitglieder des SWICO erwarten von mir, dass ich mich auf der politischen Bühne für die digitale Transformation, für Unternehmertum und Startups einsetze. Dafür muss ich auch in einem komplexen Dossier wie zum Beispiel der Angleichung des Eidgenössischen Datenschutzgesetzes an die europäischen Verordnungen sattelfest sein. Hier nutzen wir die Synergien mit den Ressourcen des Verbands.

Ihre politische Heimat ist die GLP. Wie sieht Ihre Umwelt- und klimapolitische Agenda aus?
Ich bin gegen eine Verbotswirtschaft. Was wir aber endlich brauchen, ist eine konsequente Bepreisung von CO2-Emmissionen. Die Internalisierung der Kosten ist ein urliberales Anliegen.

Soll auch Kerosin voll besteuert werden?
Natürlich. Die jetzt diskutierte Flugabgabe ist ein Notpflaster, das wenig bringen wird. Grundsätzlich sollten wir die fossilen Treibstoffe genauso behandeln wir die Brennstoffe. Im Immobilienbereich und in der Industrie hat die Lenkungsabgabe zu einer merklichen Drosselung des Verbrauchs geführt; und zwar ohne negative wirtschaftliche Konsequenzen.


Zur Person

Judith Ballaiche studierte Recht an der Universität Basel und schloss im 2017 ein Executive MBA an der HSG ab. Sie arbeitete zwei Jahre für das Investment Banking der UBS in London, wechselte in die Unternehmensberatung und gründete eine kleine Eventagentur. 2010 wurde sie für die Grünliberale Partei in den Gemeinderat von Kilchberg (ZH) gewählt und übernahm das Ressort Hochbau und Liegenschaften. 2011 folgte die Wahl in den Kantonsrat Zürich. Seit Mai 2019 ist die zweifache Mutter Geschäftsführerin des IT-Branchenverbandes Swico und seit den letzten Wahlen Nationalrätin der GLP.  

Das Interview erschien zuerst auf Englisch im Swiss Venture Capital Report 2020.

Bild: Severin Nowacki

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