„Wir sind auf dem besten Weg, Wettbewerbsfähigkeit einzubüssen“

Please login or
register
08.02.2013
Das beschäftigungswirksame Wachstum vieler Schweizer Start-ups findet im Ausland statt. Im Ausland müssen die Wachstumsunternehmen auch das Kapital beschaffen. Das belegt die eben veröffentlichte Jahresstatistik 2012 der Schweizerischen Vereinigung für Unternehmensfinanzierung SECA. Der neue Trend ist für SECA-Geschäftsleiter Maurice Pedergnana eine gefährliche Entwicklung, wie er im Interview mit startupticker.ch feststellt.

Herr Pedergnana, punkto Innovation hält die Schweiz in internationalen Ratings seit Jahren eine Spitzenposition. Wenn es aber Venture Capital Investments in Hightech-Startups geht, welche die Forschungsergebnisse kommerzialisieren, ist die Schweiz nur Mittelmass. Was sind die Gründe dieser Zurückhaltung im VC-Geschäft?

Maurice Pedergnana: Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Jungunternehmen wird unterschätzt. Start-ups schaffen jedes Jahr über viele neue Arbeitsplätze, vor allem aber schaffen sie die Zukunftsfähigkeit einer Region, sie generieren die Wettbewerbsfähigkeit. Zwar gibt die Hälfte der Gründer nach fünf Jahren wieder auf, doch wird diese Quote vom Wachstum der Erfolgreichen überkompensiert. Was wir aber in der Schweiz beobachten, ist, dass das beschäftigungswirksame Wachstum von Start-ups im Ausland stattfindet. Das ist ein Teil der attraktiveren Umgebung in Berlin oder der besseren Verfügbarkeit von (hoch-)qualifizierten Arbeitskräften – zum Beispiel in London, wenn wir HouseTrip betrachten.

Sie kritisieren, dass die Schweizer über keine Think-Big-Mentalität verfügen, sondern meist kleine Brötchen“ backen. Gilt dies sowohl für die Firmengründer wie die Schweizer Investoren?

Das gilt in erster Linie für potenzielle Firmengründer, die eine Idee haben, aber diese gleich wieder begraben. Wenn wir mit frischem Wagniskapital ausgestattet nur gerade zehn bis zwanzig Ideen pro Jahr in einer derart tollen Volkswirtschaft generieren können, welche sich wirklich beschäftigungswirksam in unserem Land niederschlagen, dann ist das viel zu wenig. Wir sind mit dieser Mentalität auf dem besten Weg, an Wettbewerbsfähigkeit einzubüssen.

Tatsache ist, dass die Schweiz ein Netto-Importeur von Wagniskapital ist. Was bedeutet dies für den Technologiestandort Schweiz?

Bei den grossen Transaktionen stammen die Lead-Investoren ausnahmslos aus dem Ausland. Damit ist die Gefahr gross, dass die finanzierten Unternehmen ihre zukünftigen Tätigkeiten und ihr Wachstum in andere Wirtschaftsregionen verlagern. Die Lead-Investoren werden sicherlich nicht eine hohe Affinität zum Standort Schweiz haben, sondern wollen Know-how und möglichst rasch skalierbare Ergebnisse.
 
Aber wissen Sie, im Grunde genommen ist für mich eine Familie Hayek der Inbegriff dessen, was man aus Schweizer Fähigkeiten mit Wagniskapital machen könnte. Das Engagement in der SSIH war wirklich ein Wagnis. Diese Familie hat extrem viel für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit sowie das Selbstbewusstsein der Schweiz gemacht. Das wird medial meines Erachtens nicht richtig eingeordnet. Die Familie denkt sehr langfristig und extrem global. Die Unternehmensführung lässt sich weder durch eine grosse Finanzkrise noch durch Finanzanalysten oder Börsenregulierungen auch nur einen Zentimeter von ihrer Strategie abrücken. Ganz zu Beginn war Nicolas Hayek auf finanzielle Co-Investoren und Wegbegleiter angewiesen. In der heutigen Schweizer Investorenszene sehe ich solche Engagements nur noch am Rande. Angesichts eines Nettovermögens aller Schweizer Haushalte von rund 2'800 Milliarden Franken ist es doch unglaublich, dass selbst die allerbesten Schweizer Wagnisunternehmen ihr Kapital – im Jahr 2012 waren es 0,3 Milliarden Franken – fast ausnahmslos im Ausland beschaffen mussten.

Neu ist, dass von den grössten VC-Transaktionen letztes Jahr auch massgebend Projekte aus den Informationstechnologien profitierten. Zeichnet sich eine Trendwende ab?

Von einer Trendwende möchte ich nicht reden, aber wir haben nun auch ausserhalb der Biotech- und Medtech-Branche einige herausragende Beispiele. Wichtig ist, den Fokus jeweils auf die Geschwindigkeit zu setzen. Nicht der dritte oder siebte in einem Markt erfährt Beachtung und erhält Wagniskapital, sondern der erste, beste und rascheste.

HouseTrip zum Beispiel hatte im Januar 2010 noch keine einzige Übernachtung verkauft. Im September 2012 waren es bereits 2 Millionen. 130 Angestellte kümmerten sich noch vor einigen Monaten um rund 20'000 Übernachtungsmöglichkeiten. Jetzt geht’s in riesigen Schritten voran, um in fünf Jahren mindestens 500 Millionen Übernachtungen organisiert zu haben. Da wird es für einen Wettbewerber wie Roomorama als Nummer 4 oder 9Flats als Nummer 5 in den fünf wichtigsten europäischen Märkten schon extrem schwierig, mitzuhalten. Und wem würden Sie Wagniskapital anvertrauen, der Nummer 6 wegen der günstigen Unternehmensbewertung oder der Nummer 1 – HouseTrip – aufgrund der besten Aussichten?

Mich freut auch die jüngste Wachstumsfinanzierung des vor drei Jahren gegründeten Start-ups GetYourGuide. Ich hoffe, dass solche Beispiele den Jungen Mut machen, um daraus zu lernen und unternehmerisch etwas zu bewegen.

Maurice Pedergnana ist Geschäftsführer der Schweizerischen Vereinigung für Unternehmensfinanzierung SECA.

0Comments

rss